Thursday, 23 January 2014

CARA COLE

Es brauchte seine Zeit, bis Cara Cole erste klare Gedanken fassen konnte. Das Gras, in dem sie lag, hatte ihre Haare feucht werden lassen. Ihre Füße waren ganz kalt. Am linken Bein zog sich eine Laufmasche hoch, und Erde klebte an ihrem Top. Der Rock saß nicht mehr richtig, aber es hatte sich niemand an ihr zu schaffen gemacht. Wenigstens das.

Noch etwas benommen richtete sie sich auf und versuchte im Sitzen, ihre Schuhe zu finden. Aber sie konnte in der Dunkelheit kaum etwas anderes erkennen als schwarze Silhouetten mächtiger Fichten, die sich ein paar Meter unterhalb von ihr zusammenschlossen und von da an das spärliche Mondlicht völlig verschluckten. Es sollte noch eine Weile dauern, bis sie verstand, wie tief drinnen sie sich im Wald befand. Und was überhaupt geschehen war.

Moment, war das der Wind? Cara hockte sich auf und horchte in die Nacht hinein.
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Sunday, 19 January 2014

BEN SAMET

Es ist nicht wichtig, warum und weshalb. Aber es gab Leute, die erkannten ziemlich schnell, dass Ben Samet sich nicht gut wehren konnte. Und das nutzten sie schamlos aus. Ben ließ es über sich ergehen. Aber im Laufe der Zeit entwickelte er Zwänge, mit denen er sein zerstörtes Selbstvertrauen in den Hintergrund zu spielen versuchte. Das Übliche: Zwanzig Mal nachsehen, ob die Haustür abgesperrt ist, zwanzig Mal die Hände waschen.

Und dann gab es noch diesen: Ben musste mit den Fingerspitzen jedes einzelne Brett des Lattenzauns berühren, der auf dem Weg zu seiner Arbeit lag. Dabei bohrten sich jedesmal Splitter in seine Haut, und jedesmal schluckte er den Schmerz runter. Aber eines Tages drang ein Stück so tief ein, dass sich sofort Blut herauspresste und der Folter eine tiefe Farbe gab.

Ben blieb stehen und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand eine Frau mit dunklen Haaren vor ihm und hielt den Blick auf seine Wunde. Und als sie seine Hand in die ihre nahm, fühlte es sich für ihn so an, als wäre ein Tropfen Honig auf seiner Zunge gelandet.
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Wednesday, 15 January 2014

OLE PERSSON und Linda Kummels

Seit ungefähr sechs Stunden schon taumelten Ole Persson und Linda Kummels mit ihrer Raumkapsel antriebslos knapp tausend Kilometer über der Oberfläche des Zwergplaneten Pluto, als Ole die Idee kam, in den hinteren Teil zu wechseln. Er hoffte, dass er dort über einen „Kasten“ an die Plasmaleitung kommen könnte, um sie zu modifizieren. Er hatte tatsächlich „Kasten“ gesagt und zeigte jetzt auf die Schleuse. 

Linda sah ihn völlig entgeistert an. „Es gibt überhaupt keinen hinteren Teil“, sagte sie, die Schleuse würde direkt nach draußen führen. „Raus ins All!“. Jetzt wurde Ole langsam ungeduldig. Sie solle sich endlich zusammenreißen, motzte er und musste prompt nach Luft schnappen, weil der geringe Sauerstoffgehalt in der Kapsel ein solches Aufregen kaum mehr duldete. Wenn es ihm gelänge, die Plasmaleitung umzupolen, könnten sich vielleicht sogar wieder alle Funktionen normalisieren, und die Zeiger in den Armaturen würden nicht ständig wie wild gewordene Metronome hin und her schlagen. Er stieß sich vom Boden ab und schnellte ins Heck. 

Wenn er die Schleuse jetzt öffne, würden sie sofort ins All raus gesogen werden und jämmerlich ersticken, brüllte ihm Linda hinterher und versuchte, sich ebenfalls abzustoßen. Aber sie war schon zu schwach, um genauso schnell zu sein. Ole erreichte als erster die Schleuse. „Du kannst ja nicht mehr klar denken“, rief er. Dann drehte er am Griff.
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Soundtrack zur Story: http://www.youtube.com/watch?v=fNLTGgPL6V4

Sunday, 12 January 2014

JOE MILLER

Joe Miller war ein Farmer, der irgendwo im Nichts von Nebraska lebte. Er konnte das Haus seines Nachbarn nicht sehen, so weit stand es von dem seinen entfernt. Und wo seines war, konnte er nur grob erklären. Es auf einer Karte zeigen, das konnte er jedenfalls nicht. Und das war auch nicht nötig, denn es gab niemanden, der das wissen wollte. Warum auch? Ein altes Haus mit Holzbalkenverkleidung und blinden Fenstern, wie man sie schon zu Hunderten auf den Bildern von Edward Hopper gesehen hat. Ein gefundenes Fressen für einen Tornado, ungeschützt im braungebrannten Gras der Prärie. 

Hier lebte Joe Miller schon sein ganzes Leben lang. Nachdem seine Eltern und seine beiden Schwestern nacheinander gestorben waren, hörte er fast nur noch Stimmen aus dem Radio, das in seiner Küche stand. Wenn nicht gerade mal der kleine Frank Lebensmittel aus der Stadt brachte. Die beiden hatten einen Deal. Vielleicht noch Paul, der Polizist, Bill, der Postbote, und manchmal fuhr er rüber in die Stadt. Sonst war nur das Radio. 

Vor allem mochte er die Jim-Pitts-Show. Der Mann ließ guten Folk laufen. Joe hatte ein Ritual: Sobald Jim die Show mit seinem typischen „Hey my friends, what’s going on?“ eröffnete, stieß Joe mit seinem frischen, eiskalten Bier gegen die Antenne. So als würde er mit Jim anstoßen. Jeden Tag. Bis auf einmal: Gerade als er seine Hand um die beschlagene braune Flasche legte, entdeckte er den Fremden in der Küchentür. Der Mann hielt ein Gewehr in der Rechten, und seine Augen lagen im Schatten.
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