Tuesday, 23 September 2014

LOLE BILLER

Stell Dir vor, dass jemand in, sagen wir mal, 500 Jahren ein extraplanetarisches Studium absolviert und in dieser Zeit eine Frau kennen lernt. So wird es Falih Yang ergehen, geboren am 27. November 2507 in Kenston, das ungefähr zwei Flugstunden vom Mount Olympus entfernt liegt. Der Mount Olympus ist der höchste Berg im Sonnensystem, und er befindet sich auf dem Mars.

Falih Yang wird, bis er 20 ist, Kenston nie verlassen haben. Aber dann folgt er seinem Plan und fliegt zur Erde, um in der Schweiz zu studieren. „Wir reden von Mathematik und Informatik“, wie seine Mutter immer sagt. Im Jahr 2533 schafft er mit Auszeichnung den Abschluss in beiden Fächern und ergattert sich unter den neidvollen Blicken einiger Kommilitonen gleich einen Assistentenjob am Teilchenbeschleuniger am Cern.

Dies ist aber nicht seine Geschichte. Es ist die von Lole Biller, die Falih an einem Silvesterabend beim Raketenschießen in der Züricher Altstadt das erste Mal an sich gezogen haben wird. Es ist nicht seine, denn er will wieder zurück und stellt Lole Biller eines Morgens zwischen Milchkaffee und Schinkenspeck vor die Wahl: „Komm mit mir, oder Du bleibst halt hier.“

Wenn man zum Mars fliegen will, muss man ein Zeitfenster abpassen, in dem sich der Rote und der Blaue Planet sehr nahe sind. Jenseits dieses Fensters hat das Reisen keinen Sinn, und man muss Jahre warten, bis man wieder wechseln kann. Es wäre also ein Abschied für lange Zeit von ihren Eltern, ihren Freunden und allem, was ihr lieb ist.

Aber Loles Entscheidung war schon klar, bevor überhaupt eine vonnöten war.

1 comment:

  1. Lole würde selbstverständlich Zürich dem Mars vorziehen. Zürich, überhaupt die Schweiz, war immerhin ihre Heimat. Warum also sollte sie Falih Yang auf den Mars folgen? Gut, der rauschende Silvesterabend, bei dem sie sich zum ersten Mal nahe gekommen waren und sich anschließend gegenseitig eine umwerfende Liebesnacht schenkten, gehörte zum Zuckerguss auf der Torte ihrer Erinnerungen. Aber es war eben auch nur ein kleines Stückchen des Zuckergusses. Und in den Momenten absoluter Ehrlichkeit sich selbst gegenüber musste sich sich eingestehen, dass Falih ein Trottel war.

    Mit seinen kräuseligen Haaren, die er nach oben toupierte, damit seine hohe Stirn besser zur Geltung kam, und seiner unfassbar hässlichen tiefschwarzen Hornbrille sah er aus wie Dr. Egon Spengler von den „Ghostbusters“. Auch wenn man dem Streifen, der vor vielen Jahrhunderten in den ehemaligen Vereinigten Staaten von Amerika gedreht wurde, sein Alter völlig ansah, gehörte er dennoch zu ihren Lieblingsfilmen. Entdeckt bei einer Mitarbeitervorstellung der Cern-Organisation. Dorthin hatte Falih sie geschleppt und ihr diesen Teilchenbeschleuniger vorgeführt, der Anfang des 23. Jahrhunderts beinahe die Menschheit ausgelöscht hätte. Hinzu kam, dass man Falih als Marsianer der siebten oder achten Generation – sie verwechselte sein Geburtsdatum immer mit seinem Kommilitonen Halif – seine Größe aufgrund der geringeren Schwerkraft auf dem roten Planeten definitiv ansah. Was also sollte sie von einem Mann halten, der das „Cern-Fiasko“ mit den Worten „Ein bisschen Schwund ist immer“ kommentierte?

    Ihren Milchkaffee zu Ende schlürfend und den Schinkenspeck links liegen lassend, warf sie ihm ein „Ich wünsch Dir noch ein schönes Leben“ entgegen und machte sich auf den Heimweg. Was sollte sie schon auf dem marsianischen Olymp? Berge gab es in der Schweiz auch genug.

    Sie würde stattdessen endlich die Reise zum Saturn antreten, von der sie ihren Freunden schon so lange vorgeschwärmt hatte.

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