Sunday, 5 July 2015

ANA LOPEZ

Dass ihrem Sohn das Hemd gefiel, erfüllte sie mit Stolz. Das war ihr mindestens genauso viel wert wie das herabgesetzte Prada-Kostüm aus der kleinen Boutique in Juarez, deren Existenz sie ihren besten Freundinnen verschwieg. Na ja, vielleicht nicht ganz so viel. Aber Ana genoss das Funkeln in Jorges Auges, das er mit aller Gewalt zu unterdrücken versuchte. Mehr konnte sie von einem 18-Jährigen in Begleitung seiner Mutter vor einer jungen, heißen Verkäuferin als Zustimmung nicht erwarten.

Als sie wieder auf die Straße kamen, sah Ana, wie sich zwei Polizisten näherten. Sie legte einen Zahn zu. Ihr SUV stand am Bürgersteig direkt vor dem Laden, aber er war doch zu weit weg. Jorge hatte bereits Blickkontakt mit den beiden Polizisten aufgenommen, und die nutzen ihre Chance. 

„Sie haben ihn gleich mitgenommen!“ Raúl winkte die Sekretärin nach draußen, während seine Frau mit der flachen Hand hysterisch auf seinen Tisch einschlug. „Sie werden ihn verheizen, Raúl, tu doch was. Tu was!“ Raúl tat auch was. Er stand auf und schenkte seiner Frau einen Tequila ein. Das Gleiche werde er nach der Cena mit seinem Sohn tun, um mit ihm wie mit einem Mann zu reden. Raúl summte leise. Ihm ging eine Zeile durch den Kopf: „Piensa, oh patria querida, que el cielo un soldado en cada hijo te dio“.

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Im April 2015 sind bei einem Anschlag im mexikanischen Bundesstaat Jalisco 15 Polizisten gestorben. Im Mai ist nahe Michoacán eine Patrouille der Bundespolizei angegriffen worden. Nach stundenlangen Gefechten waren 37 Angreifer und zwei Polizisten tot. Insgesamt forderte der mexikanische Banden- und Drogenkrieg seit 2006 weit mehr als 80 000 Opfer. Die Polizei rekrutiert junge Männer, wo sie sie finden kann.

"Piensa, oh patria querida..." (sp., aus der mexikanischen Nationalhymne) - "Denke daran, geliebtes Vaterland, dass der Himmel dir mit jedem Sohn einen Soldaten gegeben hat."

cena (sp.) - Abendessen

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