Seit sie die Halle verlassen hatten, schimpfte
Louisa. Sie schimpfte und schimpfte. Sie hatte einen Messebesucher dabei
erwischt, wie er mit seinem Handy versuchte, ihr unter den Rock zu filmen, und
nicht nur das. Aber diesmal rauschten die Tiraden an Amira vorbei, auch wenn
sie sich sicher war, dass einige dieser untersetzten Autonarren, die so untrennbar um sie herum
gekreist waren wie Mimas und Titan um Saturn, bei dem Neigungswinkel ihrer iPhones bestimmt keine
Whats-App-Nachrichten am Tippen waren.
Louisa schimpfte, um sich zu entspannen, etwas,
das Amira in dem heißen Zug gerade überhaupt nicht gelang. Sie hatte den ganzen
Tag auf zehn Zentimetern gestanden, und das in krachneuen Pumps, die sich auch jetzt
nicht mit der Fingerspitze zwischen Leder und Fuß zu mehr Gnade zwingen ließen. Ihre
Befreiungsversuche brachten nur den Mann ihr gegenüber dazu, sich immer wieder
neue Alibibewegungen auszudenken, um einen Blick darauf zu erhaschen. Was musste das für eine Qual für ihn sein. Er
sah aus, als hätte er Ticks. Amira gönnte sich den Spaß und zog einen Schuh aus,
klimperte mit den Zehen, als spielte sie Bach, dehnte den Spann mal nach oben, dann nach unten, massierte mit einer Hand die Sohle ihres wirklich hübschen Fußes und schlüpfte wieder hinein; nur wenige Zentimeter von seinem
Bürohosenbein entfernt. „Ist das da Blut vom Teufel? Dein Nagellack? Hast du den aus der
Hölle? Dios mio, ist der dunkel. Süße, der macht so … rrrrrrh“, konstatierte Louisa,
während der Zug in den Bahnhof von San Pedro einrollte. Er hielt und spuckte eine
junge Frau aus, deren Cellulitis unter den ausgefransten Hot Pants Amira an den
Mond und seine Mare erinnerte.
Kaum war sie zuhause, zog sie alles aus bis
auf Top und Unterhose und setzte sich mit einem großen Glas eiskaltes Wasser in
den Schein ihres Laptops. Im Radio sang Goerne den Leiermann aus Schuberts Winterreise,
während sie mit der Maus die interaktive Darstellung drehte und zum Mare Orientale
kam, dem jüngsten aller Mare und dem letzten in ihrem Projekt, für das der
Lehrstuhl der Astrophysik tief in die Tasche greifen wollte. Doch bevor Amira
den entscheidenden Schritt hin zu ihrem Doktortitel und weg von den Messejobs machte, betrachtete sie die
Ebene, den wunderschönen schwarzen Fleck, in den sie sich verliebt hatte, und
stellte sich vor - barfuß auf dem Eise - wie sich Mondstaub zwischen ihren glühenden Zehen wundersam kühl und zart nach
oben drückt und alles bis zu den Knöcheln umschließt.
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Nach "barfuß auf dem Eise" aus dem "Leiermann" in Schuberts "Winterreise". Wer jetzt behauptet, auf dem Mond gäbe es kein Eis, dem würde Amira entgegnen, dass sich beispielsweise der helle Rand des Shackleton-Kraters am Südpol des Mondes, der seit drei Milliadren Jahren in der Finternis liegt, mit einer Eisschicht erklären ließe. Doch diese Eisschicht ist höchstens ein Tausendstel Millimeter dünn und besteht maximal zu einem Fünftel aus Wasser.
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