Tuesday, 24 March 2015

HEDWIG JONKER

Nachdem Hedwig Jonker schon mehrere Stunden nach der Liste gesucht hatte, kramte sie das Telefonbuch aus der Ablage unter dem Tisch in der Diele heraus und wählt die Nummer der Beetels Umzugsfirma aus Utrecht. Was sie denn mit dem Schrank gemacht hätten, wollte sie wissen, Norberts Liste sei verschwunden.

„Liebe Frau Jonker“, antwortete Martha Schmid auf der anderen Seite der Verbindung, „hier gibt es keine Umzugsfirma, die gibt es hier schon lange nicht mehr. Ich sag’s Ihnen nochmal: Ich weiß nichts von einem Schrank oder ich weiß nichts von Norberts dummer Liste. Ich kenne sie überhaupt nicht. Schreiben sie sich das auf Ihre Liste, wenn Sie sie finden: Hier ist nicht Beetels!“ Dann legte sie auf, ohne Auf Wiederhören zu sagen.

Leicht verwirrt klappte Hedwig das Telefonbuch wieder zu und verstaute es in der Ablage unter der Tischplatte. Seit Monaten sammelt sich auf ihr schon der Staub um das alte Telefon herum. „Norbert“, rief sie zur Küchentür hin, „die haben die Liste nicht.“ Hedwig hielt sich noch ein wenig am Tisch fest, bevor sie losging. „Ich sehe mal im Schrank nach, da muss sie doch irgendwo sein.“

Wednesday, 11 February 2015

ABU AL RAN BEN AMIR

Abu Al Ran Ben Amir konfisziert jeden Tag einen Haufen Geld und denkt sich immer wieder neue Steuern aus. Seine Idee war es, in Sumar den Pinsel in die Hand zu nehmen und Zeichen an kurdische Häuser zu malen, um mit der ethnischen Säuberung schneller voran zu kommen. Er kontrolliert mit dem IS im Irak und in Syrien 24 Banken, sie haben das Bargeld davon getragen und sich das ganze Gold gesichert. Sie haben sich in Windeseile Ölfelder angeeignet und lassen sich von europäischen Händlern den Speichel von dem Lippen lecken. Sie besitzen Ressourcen im Wert von mehreren tausend Milliarden Dollar.

Es war Abu Al Ran Ben Amirs Idee, den Staudamm von Mossul zu nehmen und somit die Kontrolle über die Nivine-Ebene, die Kornkammer des Iraks, zu gewinnen. Seine Idee war es, perfide Rechenschaftsberichte zu verfassen, in dem der IS die Zahl der getöteten Ungläubigen auflistet und mit weiteren Daten kombiniert. Er hat genau Buch darüber geführt, mit wie vielen jesidischen Frauen er gefickt hat, um Babys zu zeugen und mit ihnen die Zahl der Gläubigen zu erhöhen – sein ganz persönlicher Dschihad. Er und Abu Abdul Kadr, Abu Kassem und Abu Hajar Al-Assafi sind für ihre Untertanen die Armee Gottes, weil sie islamisches Gesetz anwenden. Und jetzt staunt sogar der Kalif über seinen Einfall, eine eigene Währung zu schaffen und sie an den Goldkurs zu koppeln. 

All das. Und dann ist Abu Al Ran Ben Amir zu blöd dafür, seinen Schwanz in Abu Nabils Hand zu legen und sich einen zu wichsen, ohne ihn dabei aufzuwecken. Irgendetwas muss er anders gemacht haben als in den Nächten zuvor. Jetzt sitzt er unausgeschlafen im Ledersessel in seinem zerschossenen Büro von Raqqa, die Eier noch voll mit seinem islamistischen Sperma, und hält sich nachdenklich die Fingerknöchel an den Mund. Abu Nabil fehlt schon der Kopf, und eigentlich ist Ran Ben Amir zu mächtig, als dass ihm etwas passieren könnte. Unten auf der Straße plärren sich ein paar Leute an, eine Frau schreit auf, und zwei Mopeds knattern davon.

Sunday, 1 February 2015

MILOŠ JANI

Miloš Jani saß weit oben auf dem Hügel, als er den Mann den Weg lang kommen sah. Und er blieb dort noch lange Zeit sitzen, was er sich nie verzeihen würde, obwohl bestimmt auch kein anderer dann schon aufgestanden und los gerannt wäre. Das tat Miloš erst, als der Fremde auf eines der Schafe zustürmte und dabei sein Messer zog.

Miloš rannte so schnell, dass das Gras wie Peitschen schnalzte, als es ihm gegen die Hosen schlug. Und obwohl er noch so weit weg war, sah er, wie das Blut aus dem Hals des ersten Tieres schoss und sich über dessen weißes Fell ergoss. Da hatte der Bärtige schon ein zweites an sich gerissen und mit der Klinge durch dessen Hals geschnitten.

Miloš brüllte nicht. Als nur noch wenige Meter fehlten, ließ der Mann von den Schafen ab, richtete sich auf und erwartete ihn, Blut am Messer, am Hals und im Gesicht. Da schaute Miloš schon in eine Welt, in der alles in einem einzigen war. Und um ihn herum begann die Sonne wie heißes Gold zu glühen.

Tuesday, 27 January 2015

CÉCILE LAGARDE

Cécile Lagarde hatte viel Hoffnung in ihr neues Haus gesteckt. Man kann es nennen, wie man will, eine Flucht, ein neues Leben ... Cécile beginnt es am Rande eines Dorfes im Nichts, in dem sie niemanden kennt, in dem sie die Blicke nicht deuten kann, die sich von Tag zu Tag mehren.

Der Winter hält die Leute in ihren Häusern fest, die Kälte zerrt dichten Rauch aus den Schornsteinen in die Höhe. Cécile sieht aus dem Fenster, links die Nacht, rechts das Dorf. Mit ihren Rollläden rauben die anderen sich die Sicht auf das Licht im Wald, das ihr in die Augen sticht und sie an der kalten Scheibe hält wie eine Somnambule.

Gestern hatte sie noch ihr Nachthemd an, zog mal den einen Fuß, dann den anderen von den blanken Dielen. Heute steckt sie in ihrer Jeans, die Füße fest in schönen Stiefeln. Selbst mit deren Absätzen wird sie nicht im Weg versinken. So eisig ist's im Boden. Hat sie denn wirklich geglaubt, es sei vorbei? Hat sie wirklich geglaubt, sie könne sich selbst entfliehen?

Tuesday, 30 September 2014

PIETJE POHL

Pietje Pohl hat einen Führer. Und das Tollste ist: Er weiß es nicht. Wenn er es wüsste, dann würde er sich doch schwer über sich selbst wundern. Denn er hält sich für kritisch und klug. Er ist es auch. Aber sein Führer war zunächst ganz leise an ihm dran.

Der Führer wusste, wo er Pietje packen konnte. Er schmeichelte ihm und ließ ihn träumen. So einfach es war, aber Pietje hatte Sorgen, die man nur bedienen musste, und dann lauschte er auch gern. Und so träumte er sich mit seinem Führer weg, bis hinein ins Paradies. Er vertraute ihm immer mehr. Und wenn sein Führer auf neue Ideen kam, dann waren die recht bald Gesetz: „Wie soll es denn auch anders sein?“

Alte Freunde hielten manche dieser Ideen für komisch und sagten Pietje, er solle sie doch mal hinterfragen. Aber er war schon so weit, dass er glaubte, sie wollten ihm sein Glück nicht gönnen, und wehrte sich sehr schnell. Dabei wollten sie nur ihren Alten zurück, denn der Neue lag ihnen fern.

Wie ich den neuen Pietje finde, kann ich nicht bemessen. Ich kenne ihn nicht, er kommt aus seinem Haus nicht raus. Es genügt ihm schon, wenn der Führer sagt, er könne es draußen vergessen.

Monday, 29 September 2014

FILIPE CARVALHO

Filipe Carvalho bückte sich, um der Alten wieder auf die Beine zu helfen. Aber Mariana war schneller. Sie hatte ihr bereits unter den Arm gepackt. „Nimm doch mal meine Tasche und geh schon mal vor, ich helfe der Senhora“, sagte sie und schickte Filipe alleine die Gangway hinunter, während sie sich dem Tempo der Alten anpasste.

Sie waren ziemlich weit vorne gewesen beim Check-in, und so war er auch einer der ersten im Flugzeug. Ihm folgten immer mehr Passagiere durch die Tür und quälten sich zu ihren Plätzen. Das sah sich Filipe eine Weile gelassen an, doch mit der Zeit wurde er nervös: Mariana kam nicht nach.

Als alle anderen ihren Sitz eingenommen hatten und sie immer noch nicht aufgetaucht war, winkte Filipe eine Stewardess zu sich. „Und die Senhora? Ist sie denn da?“, fragte sie, aber Filipe sah nur Köpfe um sich herum und sie alle waren gleich. Er konnte es nicht sagen. „Mariana Souza“, wiederholte er stattdessen und ließ sich wieder auf seinen 8 D fallen. 

Die Stewardess beugte sich zu ihm herunter und steckt seinen Gurt zusammen. Dann ging sie nach vorne, wo sie in der Gangway verschwand. Auch sie sollte er nie wieder sehen.

Tuesday, 23 September 2014

LOLE BILLER

Stell Dir vor, dass jemand in, sagen wir mal, 500 Jahren ein extraplanetarisches Studium absolviert und in dieser Zeit eine Frau kennen lernt. So wird es Falih Yang ergehen, geboren am 27. November 2507 in Kenston, das ungefähr zwei Flugstunden vom Mount Olympus entfernt liegt. Der Mount Olympus ist der höchste Berg im Sonnensystem, und er befindet sich auf dem Mars.

Falih Yang wird, bis er 20 ist, Kenston nie verlassen haben. Aber dann folgt er seinem Plan und fliegt zur Erde, um in der Schweiz zu studieren. „Wir reden von Mathematik und Informatik“, wie seine Mutter immer sagt. Im Jahr 2533 schafft er mit Auszeichnung den Abschluss in beiden Fächern und ergattert sich unter den neidvollen Blicken einiger Kommilitonen gleich einen Assistentenjob am Teilchenbeschleuniger am Cern.

Dies ist aber nicht seine Geschichte. Es ist die von Lole Biller, die Falih an einem Silvesterabend beim Raketenschießen in der Züricher Altstadt das erste Mal an sich gezogen haben wird. Es ist nicht seine, denn er will wieder zurück und stellt Lole Biller eines Morgens zwischen Milchkaffee und Schinkenspeck vor die Wahl: „Komm mit mir, oder Du bleibst halt hier.“

Wenn man zum Mars fliegen will, muss man ein Zeitfenster abpassen, in dem sich der Rote und der Blaue Planet sehr nahe sind. Jenseits dieses Fensters hat das Reisen keinen Sinn, und man muss Jahre warten, bis man wieder wechseln kann. Es wäre also ein Abschied für lange Zeit von ihren Eltern, ihren Freunden und allem, was ihr lieb ist.

Aber Loles Entscheidung war schon klar, bevor überhaupt eine vonnöten war.