Thursday, 24 April 2014

ÁSDÍS GUNNARSDÓTTIR

Nachdem man Ásdís Gunnarsdóttirs leblosen Körper auf dem Boden und ihren Abschiedsbrief samt an puren Wahnsinn grenzender Formelsammlung gefunden hatte, waren Brynjar und Ásdís‘ studentische Hilfskraft, ein kurz angebundenen Österreicher im Erasmus-Programm, enorm geschockt. Sicherlich spielte die Nachricht ihres Suizids dabei eine gewisse Rolle. Schlimmer aber wirkte die Ironie, dass eine vom Institut als hochintelligent eingestufte und dementsprechend hochbezahlte Kraft sich derart irren konnte.

Doch in Wahrheit irrten die anderen. Brynjar, der sich als Chef einen feuchten Dreck um seine Angestellte geschert hatte, wusste nicht, dass sie Minuszeichen wie Punkte aufs Papier hetzte. Und so scheiterte er, über die Tote gebeugt, gleich bei der dritten Zeile in einem völlig absurden Ergebnis, dessen Formengewirr den Österreicher an eine in einen Karton geschissene Katze erinnerte. Brynjar warf Ásdís‘ Block vor den Augen des arbeitsscheuen Kriminalkommissars in den Müll.

Ásdís aber hatte Recht. In der Nacht auf den 21. Juli 2069 hatte sie den unglaublichen Beweis erbracht, dass es mehrere Universen gibt, und zwar unendlich viele. Sie konnte auf Seite 442 ihrer Abhandlung sogar darstellen, dass der Tod der einzig mögliche, dafür aber gesicherte Übergang ist. Noch während Brynjar bei der Personalabteilung anordnete, Ásdís Gunnarsdóttirs Gehalt ab sofort nicht mehr auszuzahlen, wurde sie auf einem Planeten wiedergeboren, dessen gesündestes Gemüse nach zarten Küssen schmeckt.

Wednesday, 9 April 2014

MILLIE FELLER

Millie Feller war gerade dabei, ihren Plymouth zu waschen, als ein völlig durchnässter, etwas kurz geratener Mann vor ihr auftauchte und ihr mit vorgehaltener Pistole den Vorschlag unterbreitete, ihm so schnell wie möglich einen Gefallen zu erweisen. Man kann sich vorstellen, dass Millie unter diesen Umständen direkt den Waschlappen fallen ließ und ohne zu zögern dem Kerl zum Bach in das nahe Wäldchen folgte – und das, obwohl sie sich schon in der gesamten Nachbarschaft als äußerst stures Ding einen Namen gemacht hatte.

Sie galt außerdem als sehr schweigsam und zog es auch diesmal vor, absolut nichts zu sagen, als sie im Wasser einen Ford V 8 mit der Schnauze gegen die Böschung gedrückt entdeckte. Dafür aber sprudelte es schon seit Minuten aus dem nassen Mann heraus, der von einer Begehrlichkeit auf die nächste kam.

Er hätte es vielleicht selbst nicht für möglich gehalten, aber Millie konnte sie alle erfüllen: Verbandszeug und Jod für die stark blutende Frau auf dem V-8-Rücksitz waren im Schrank rechts unter der Spüle, saubere Hemden lagen in der Kommode drüben links in der Diele. Und sie hatte eben jenen frisch gewaschenen Plymouth, dem sie noch so lange hinterher sah, bis die Fremden mit ihm hinter dem staubigen Horizont verschwunden waren. Millie starb, bevor ihr Name wegen dieses kleinen Ereignisses einmal in einem Buch erscheinen sollte.

Thursday, 23 January 2014

CARA COLE

Es brauchte seine Zeit, bis Cara Cole erste klare Gedanken fassen konnte. Das Gras, in dem sie lag, hatte ihre Haare feucht werden lassen. Ihre Füße waren ganz kalt. Am linken Bein zog sich eine Laufmasche hoch, und Erde klebte an ihrem Top. Der Rock saß nicht mehr richtig, aber es hatte sich niemand an ihr zu schaffen gemacht. Wenigstens das.

Noch etwas benommen richtete sie sich auf und versuchte im Sitzen, ihre Schuhe zu finden. Aber sie konnte in der Dunkelheit kaum etwas anderes erkennen als schwarze Silhouetten mächtiger Fichten, die sich ein paar Meter unterhalb von ihr zusammenschlossen und von da an das spärliche Mondlicht völlig verschluckten. Es sollte noch eine Weile dauern, bis sie verstand, wie tief drinnen sie sich im Wald befand. Und was überhaupt geschehen war.

Moment, war das der Wind? Cara hockte sich auf und horchte in die Nacht hinein.
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Sunday, 19 January 2014

BEN SAMET

Es ist nicht wichtig, warum und weshalb. Aber es gab Leute, die erkannten ziemlich schnell, dass Ben Samet sich nicht gut wehren konnte. Und das nutzten sie schamlos aus. Ben ließ es über sich ergehen. Aber im Laufe der Zeit entwickelte er Zwänge, mit denen er sein zerstörtes Selbstvertrauen in den Hintergrund zu spielen versuchte. Das Übliche: Zwanzig Mal nachsehen, ob die Haustür abgesperrt ist, zwanzig Mal die Hände waschen.

Und dann gab es noch diesen: Ben musste mit den Fingerspitzen jedes einzelne Brett des Lattenzauns berühren, der auf dem Weg zu seiner Arbeit lag. Dabei bohrten sich jedesmal Splitter in seine Haut, und jedesmal schluckte er den Schmerz runter. Aber eines Tages drang ein Stück so tief ein, dass sich sofort Blut herauspresste und der Folter eine tiefe Farbe gab.

Ben blieb stehen und schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, stand eine Frau mit dunklen Haaren vor ihm und hielt den Blick auf seine Wunde. Und als sie seine Hand in die ihre nahm, fühlte es sich für ihn so an, als wäre ein Tropfen Honig auf seiner Zunge gelandet.
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Wednesday, 15 January 2014

OLE PERSSON und Linda Kummels

Seit ungefähr sechs Stunden schon taumelten Ole Persson und Linda Kummels mit ihrer Raumkapsel antriebslos knapp tausend Kilometer über der Oberfläche des Zwergplaneten Pluto, als Ole die Idee kam, in den hinteren Teil zu wechseln. Er hoffte, dass er dort über einen „Kasten“ an die Plasmaleitung kommen könnte, um sie zu modifizieren. Er hatte tatsächlich „Kasten“ gesagt und zeigte jetzt auf die Schleuse. 

Linda sah ihn völlig entgeistert an. „Es gibt überhaupt keinen hinteren Teil“, sagte sie, die Schleuse würde direkt nach draußen führen. „Raus ins All!“. Jetzt wurde Ole langsam ungeduldig. Sie solle sich endlich zusammenreißen, motzte er und musste prompt nach Luft schnappen, weil der geringe Sauerstoffgehalt in der Kapsel ein solches Aufregen kaum mehr duldete. Wenn es ihm gelänge, die Plasmaleitung umzupolen, könnten sich vielleicht sogar wieder alle Funktionen normalisieren, und die Zeiger in den Armaturen würden nicht ständig wie wild gewordene Metronome hin und her schlagen. Er stieß sich vom Boden ab und schnellte ins Heck. 

Wenn er die Schleuse jetzt öffne, würden sie sofort ins All raus gesogen werden und jämmerlich ersticken, brüllte ihm Linda hinterher und versuchte, sich ebenfalls abzustoßen. Aber sie war schon zu schwach, um genauso schnell zu sein. Ole erreichte als erster die Schleuse. „Du kannst ja nicht mehr klar denken“, rief er. Dann drehte er am Griff.
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Soundtrack zur Story: http://www.youtube.com/watch?v=fNLTGgPL6V4

Sunday, 12 January 2014

JOE MILLER

Joe Miller war ein Farmer, der irgendwo im Nichts von Nebraska lebte. Er konnte das Haus seines Nachbarn nicht sehen, so weit stand es von dem seinen entfernt. Und wo seines war, konnte er nur grob erklären. Es auf einer Karte zeigen, das konnte er jedenfalls nicht. Und das war auch nicht nötig, denn es gab niemanden, der das wissen wollte. Warum auch? Ein altes Haus mit Holzbalkenverkleidung und blinden Fenstern, wie man sie schon zu Hunderten auf den Bildern von Edward Hopper gesehen hat. Ein gefundenes Fressen für einen Tornado, ungeschützt im braungebrannten Gras der Prärie. 

Hier lebte Joe Miller schon sein ganzes Leben lang. Nachdem seine Eltern und seine beiden Schwestern nacheinander gestorben waren, hörte er fast nur noch Stimmen aus dem Radio, das in seiner Küche stand. Wenn nicht gerade mal der kleine Frank Lebensmittel aus der Stadt brachte. Die beiden hatten einen Deal. Vielleicht noch Paul, der Polizist, Bill, der Postbote, und manchmal fuhr er rüber in die Stadt. Sonst war nur das Radio. 

Vor allem mochte er die Jim-Pitts-Show. Der Mann ließ guten Folk laufen. Joe hatte ein Ritual: Sobald Jim die Show mit seinem typischen „Hey my friends, what’s going on?“ eröffnete, stieß Joe mit seinem frischen, eiskalten Bier gegen die Antenne. So als würde er mit Jim anstoßen. Jeden Tag. Bis auf einmal: Gerade als er seine Hand um die beschlagene braune Flasche legte, entdeckte er den Fremden in der Küchentür. Der Mann hielt ein Gewehr in der Rechten, und seine Augen lagen im Schatten.
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Thursday, 13 June 2013

Être Perdu Dans La Forêt

 


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