Wednesday, 30 March 2011

Chronik eines Überfalls

Der belebte Platz vor dem Congress-Gebaeude in Buenos Aires scheint mir ein schlecht gewaehlter Platz fuer einen Ueberfall. Dazu noch um halb zehn Uhr morgens. Aber gerade als ich die ersten Schlucke meines  vierten Kaffees fuer den Tag in meinen Rachen goss, hat sich ein unerschrockener Mann mit der Erscheinung von Nationalstuermer Carlos Tevez aufgemacht, seinen grossen Coup zu laden.
Zuerst war der Mark erschuetternde, langanhaltende Schrei einer jungen Frau zu hoeren. Ich sass gerade auf meinem Stammplatz am Fenster meines Lieblingsbistros, konnte aber nicht gleich feststellen, aus welcher Richtung er kam. Auch die Leute draussen gingen erstmal ihren Geschaeften nach. Als aber der zweite Schrei einsetzte und ebenfalls ziemlich lange anhielt, drehten sich die ersten in Richtung einer Bushaltestelle um. Ich konnte zwar immer noch nicht die Frau sehen, bemerkte dann aber diesen Typ knapp vor meinem Fenster, wie er mit seinem Drahtesel auf die Strasse stolperte und es dann auch schaffte, aufzuspringen und zu einer ausgiebigen Fahrradtour aus meinem Sichtfeld hinaus anzutreten.
Dann ging alles sehr schnell. Aus allen Ecken kamen die Leute geschossen, welche in normaler Kleidung, Geschaeftsleute, Studenten und ein ganzer Pulk an Kellnern - so auch meiner - und rannten dem Typ hinterher. Auch ich ging jetzt raus, um mal zu sehen, wie das hier so ablaueft. Die Frau hoerte mit dem Schreien uebrigens immer noch nicht auf und steckte mit ihrem Organ locker den gesamten Verkehr in die Tasche
Draussen auf dem Congress-Platz (ca. 200 mal 100 Meter) herrschte fuer einen kurzen Moment voelliges Chaos. Ich konnte nur hoeren, wie ein Mann einem anderen erzaehlte, dass der Kerl auf dem Fahrrad wohl versucht habe, die Frau zu ueberfallen. Schon ziemlich dreist auf diesem Platz, der zwar stark, aber nicht so sehr belebt ist, dass man hier gleich in der Menschenmasse verschwinden kann. Der Taeter war also entweder ein Vollprofi oder ein voelliger Dummkopf.
Zu vermuten waere vorsichtig letzteres: Der Mop hat den Kerl tatsaechlich noch gekriegt. Auch ein Polizist war schon zur Stelle und drueckte den Kerl auf den Aspahlt. Damit hatte es sich fuer die Horde an aufmerksamen Zeitgenossen auch schon, die sich jetzt schnell wieder um ihren eigenen Kram kuemmerte, ohne sich wieder umzudrehen. Das spricht dafuer, dass das hier wohl gar nicht so selten passiert.
Ich war der einzige, der als Schaulustiger zurueckblieb. Ich hielt mich aber einige Meter entfernt an der Haeuserwand auf. Um das Opfer kuemmerte sich inzwischen niemand mehr. Es war ein Maedchen zwischen 16 und 18 Jahren, einen halben Kopf kleiner als ich und offensichtlich Schuelerin mit einem rosafarbenen Rucksack, den die Kleine jetzt vor sich an der Brust trug wie ein Baby. Sie kam langsam die Strasse runter, waehrend der Polizist und ein kraeftiger Mann den Dieb auf die Strasse drueckten, stellte sich etwa zwei Meter neben mich und heulte wie ein Schlosshund von aller Welt allein gelassen. Ich hatte schon den Implus, ihr irgendwie was Nettes zu sagen, aber dann dachte ich mir, dass sie moeglicherweise erstmal die Schnauze voll hat von fremden Maennern. Kann aber auch sein, dass sie sich neben mich stellte, weil ich ihr einigermassen koscher vorkam, und bie mir sowas wie sichere Ruhe fuehlte. Keine Ahnung. Jedenfalls stand sie geschlagene fuenf Minuten weinend neben mir und wischte sich immer wieder verzweifelt die Traenen von den Wangen. Inzwischen kreuzten schon Passanten, die von der Sache gar nichts mitgekriegt hatten und uns ganz komisch ansahen, wie wir da so standen - ich und die Kleine am Heulen.
Nach ewigen Augenblicken traf dann endlich ein Polizeiwagen ein. Zwei uniformierte und mit Waffen wie Funkgeraeten schwer beladene Maenner stiegen aus, filzten den Typen, warfen seinen Pass auf den Boden, drehten seinen Rucksack drei Mal nach links und wendeten sich dann mit einem Formular endlich dem Maedchen zu. Ein zweiter Streifenwagen kam und nahm die Kleine mit.

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