Sunday, 10 May 2015

MAHA FANI

Im Zimmer fand ihn Maha Fani nicht, in der Küche war er nicht, im Schlafzimmer nicht und auch nicht im Flur. Sie war gerade aus den Dornen gekommen. „Mahmoud?“ Maha lauschte, aber sie hörte nur die Hühner gackern und eine Ziege, die beim Nachbarn war. „Mahmoud?“

Maha hob den Saum ihres Umhangs von den Fliesen und huschte in den Hof, so dass die Hühner auseinander preschten und um sie herum in die Ecken flohen. Ihren Mann fand sie auch hier nicht. Aber dann hörte sie im Haus sein Husten. Sie kehrte um und folgte den Schalen der Kerne, die Mahmoud jetzt auf dem Teppich genoss.

Als er Maha mit der Waffe durch die Tür kommen sah, hörte er mit dem Kauen auf, und sie konnte den Brei zwischen seinen Lippen sehen. Er klang eilig, als er endlich das Wort ergriff: „Du hältst sie falsch, Frau!“. Da fing Maha an zu lachen, so laut, wie noch nie vor ihrem Mann.

Saturday, 9 May 2015

LUIS MOSQUERO

Am selben Abend, nachdem Luis Mosquero in den Rio Caquetá gesprungen war, um das Boot zum anderen Ufer zu drücken, wurde er zum ersten Mal des Schmerzes gewahr, der seinen rechten Fuß durchzog. Seine Frau bemerkte, wie sich sein Gesicht verkrampfte. Aber sie sagte nichts, sondern senkte ihre Augen und aß weiter von ihrem Reis mit Huhn.

Zwar flaute der Schmerz kurze Zeit später wieder ab, doch in der Nacht kam er mit aller Macht zurück. Es fühlte sich an, als würde das Fleisch verbrennen und unter der Sohle fremdes Leben entstehen. Doch Luis glaubte noch immer daran, dass der Schmerz sich schon wieder geben werde, und wartete mit seinem Besuch beim Arzt, bis die Qual ihn weinen ließ.

Als man ihn zur Praxis brachte, konnte Luis kaum noch gehen. Die Assistentin hakte sich bei ihm ein, um ihn bis zum Stuhl zu stützen, da kam der Arzt schon herein und mit ihm ein seltsames Gefühl, das sich Luis bemannte. Der Arzt trug blondes Haar und bemühte sich, ein Grinsen aus seinem Gesicht zu löschen. Und Luis sah, wie die Assistentin den kranken Fuß in ihre kühlen Hände nahm, und hoffte, ihren Blick zu finden.

Saturday, 25 April 2015

DANA JENNINGS

Ihre Hand glitt wie auf Eis über den Rock. Keine Makel an der Haut, nicht bei Dana Jennings, die sie pflegte, egal wie es um sie selbst stand. Fremd, zerrissen, müde, verkappt - draußen kam Wind auf.

Eine große, lange Falte hatte der Rock quer über den feinen Stoff auf dem linken Bein geschlagen. Mit der Hand strich sie Dana wieder glatt. Sie führte den kleinen Finger zum Mund und knabberte an seinem Nagel herum. Sie legte die Hand wieder in die andere und atmete gewaltig aus. Dabei rutschte sie auf der Stuhlkante nach vorne, zog das Bein vom anderen und stellte es parallel. Jetzt schimmerte der Rock, der sich über ihren Schoß spannte.

Jetzt schimmerten die Nägel an ihren Händen, die in ihm lagen. Jetzt schimmerte das Leder ihrer Schuhe, die sie trotz der hohen Absätze gerade auf dem Boden hielt, so dass sich ihre Füße verkrampften. Jetzt schimmerte der Lack des Telefons, in dem sich Danas Gesicht so unfassbar und fahl wie das eines Geistes spiegelte.

Monday, 6 April 2015

ALESSANDRO ZINGARELLI

Alessandro Zingarelli, Professor für Angewandte Wichtigtuerei an der Freien Universität zu Bozen, hatte es geschafft. Er war reich, er hatte ein riesiges Haus und das Auto mit dem lautesten Motorengeräusch in der ganzen Stadt. Zumindest da, wo vor allem die Italiener wohnten. Auf der Seite der Südtiroler fuhr ein gewisser Wolfgang Girtnbichler mit einem noch viel lauteren Motor durch die Gegend. Aber Alessandro Zingarelli wusste, das Richtige zu tun, um als der Beste dazustehen. Man kann sich also denken, dass er als Koryphäe auf seinem Gebiet galt, und das nicht nur in Italien.

Da Italien natürlich zudem noch weltweit als führend in der Angewandte Wichtigtuerei galt, kamen sehr angesagte Leute nach Bozen und zur Zweigstelle in Brixen. Nicolas Sarkozy zum Beispiel, dessen überschwängliche Begrüßung durch Alessandro Zingarelli in der Dolomiten Zeitung am darauffolgenden Tag genau andersherum ausfiel. Das Foto sprach Bände und hätte Sarkozy in Paris einige Wählerstimmen gekostet. Aber eben nur hätte, seine Teilnahme am Wochenendblockseminar bei Alessandro Zingarelli in Brixen war nicht umsonst. Also, nicht dass Sarkozy es nötig gehabt hätte . . .

Genauso wenig wie Marine Le Pen. Man schaue sich die Erfolge des Front National bei den jüngsten Departementswahlen an. Oh, werden Sie sagen, die Rechtsradikale. Aber Zingarelli wusste natürlich, die Teilnahme einer fragwürdigen Politikerin in wunderbare Werbung für sein Institut umzumünzen. Und so kamen noch andere nach Brixen. Die Liste ist sehr lang. Und wenn man Alessandro Zingarelli fragt, ist sie noch viel länger. Natürlich.

Tuesday, 24 March 2015

HEDWIG JONKER

Nachdem Hedwig Jonker schon mehrere Stunden nach der Liste gesucht hatte, kramte sie das Telefonbuch aus der Ablage unter dem Tisch in der Diele heraus und wählt die Nummer der Beetels Umzugsfirma aus Utrecht. Was sie denn mit dem Schrank gemacht hätten, wollte sie wissen, Norberts Liste sei verschwunden.

„Liebe Frau Jonker“, antwortete Martha Schmid auf der anderen Seite der Verbindung, „hier gibt es keine Umzugsfirma, die gibt es hier schon lange nicht mehr. Ich sag’s Ihnen nochmal: Ich weiß nichts von einem Schrank oder ich weiß nichts von Norberts dummer Liste. Ich kenne sie überhaupt nicht. Schreiben sie sich das auf Ihre Liste, wenn Sie sie finden: Hier ist nicht Beetels!“ Dann legte sie auf, ohne Auf Wiederhören zu sagen.

Leicht verwirrt klappte Hedwig das Telefonbuch wieder zu und verstaute es in der Ablage unter der Tischplatte. Seit Monaten sammelt sich auf ihr schon der Staub um das alte Telefon herum. „Norbert“, rief sie zur Küchentür hin, „die haben die Liste nicht.“ Hedwig hielt sich noch ein wenig am Tisch fest, bevor sie losging. „Ich sehe mal im Schrank nach, da muss sie doch irgendwo sein.“

Wednesday, 11 February 2015

ABU AL RAN BEN AMIR

Abu Al Ran Ben Amir konfisziert jeden Tag einen Haufen Geld und denkt sich immer wieder neue Steuern aus. Seine Idee war es, in Sumar den Pinsel in die Hand zu nehmen und Zeichen an kurdische Häuser zu malen, um mit der ethnischen Säuberung schneller voran zu kommen. Er kontrolliert mit dem IS im Irak und in Syrien 24 Banken, sie haben das Bargeld davon getragen und sich das ganze Gold gesichert. Sie haben sich in Windeseile Ölfelder angeeignet und lassen sich von europäischen Händlern den Speichel von dem Lippen lecken. Sie besitzen Ressourcen im Wert von mehreren tausend Milliarden Dollar.

Es war Abu Al Ran Ben Amirs Idee, den Staudamm von Mossul zu nehmen und somit die Kontrolle über die Nivine-Ebene, die Kornkammer des Iraks, zu gewinnen. Seine Idee war es, perfide Rechenschaftsberichte zu verfassen, in dem der IS die Zahl der getöteten Ungläubigen auflistet und mit weiteren Daten kombiniert. Er hat genau Buch darüber geführt, mit wie vielen jesidischen Frauen er gefickt hat, um Babys zu zeugen und mit ihnen die Zahl der Gläubigen zu erhöhen – sein ganz persönlicher Dschihad. Er und Abu Abdul Kadr, Abu Kassem und Abu Hajar Al-Assafi sind für ihre Untertanen die Armee Gottes, weil sie islamisches Gesetz anwenden. Und jetzt staunt sogar der Kalif über seinen Einfall, eine eigene Währung zu schaffen und sie an den Goldkurs zu koppeln. 

All das. Und dann ist Abu Al Ran Ben Amir zu blöd dafür, seinen Schwanz in Abu Nabils Hand zu legen und sich einen zu wichsen, ohne ihn dabei aufzuwecken. Irgendetwas muss er anders gemacht haben als in den Nächten zuvor. Jetzt sitzt er unausgeschlafen im Ledersessel in seinem zerschossenen Büro von Raqqa, die Eier noch voll mit seinem islamistischen Sperma, und hält sich nachdenklich die Fingerknöchel an den Mund. Abu Nabil fehlt schon der Kopf, und eigentlich ist Ran Ben Amir zu mächtig, als dass ihm etwas passieren könnte. Unten auf der Straße plärren sich ein paar Leute an, eine Frau schreit auf, und zwei Mopeds knattern davon.

Sunday, 1 February 2015

MILOŠ JANI

Miloš Jani saß weit oben auf dem Hügel, als er den Mann den Weg lang kommen sah. Und er blieb dort noch lange Zeit sitzen, was er sich nie verzeihen würde, obwohl bestimmt auch kein anderer dann schon aufgestanden und los gerannt wäre. Das tat Miloš erst, als der Fremde auf eines der Schafe zustürmte und dabei sein Messer zog.

Miloš rannte so schnell, dass das Gras wie Peitschen schnalzte, als es ihm gegen die Hosen schlug. Und obwohl er noch so weit weg war, sah er, wie das Blut aus dem Hals des ersten Tieres schoss und sich über dessen weißes Fell ergoss. Da hatte der Bärtige schon ein zweites an sich gerissen und mit der Klinge durch dessen Hals geschnitten.

Miloš brüllte nicht. Als nur noch wenige Meter fehlten, ließ der Mann von den Schafen ab, richtete sich auf und erwartete ihn, Blut am Messer, am Hals und im Gesicht. Da schaute Miloš schon in eine Welt, in der alles in einem einzigen war. Und um ihn herum begann die Sonne wie heißes Gold zu glühen.