Sunday, 7 June 2015

DANNY FLETCHER

Man kann nicht sagen, dass sich an diesem Abend jemand ernsthaft für Danny Fletcher interessiert hätte. Vielleicht noch Floyd („Ich trinke Martini nur, wenn Ginger drin gebadet hat“), aber der winkte inzwischen öfters dem Tablett-Typen zu, als „mh“ zu Dannys lumpigen Kommentaren zu machen.

Dass Ava mit ihnen in der Gruppe saß, hatte ganz sicher nichts zu bedeuten. Oder es war Floyd zuzuschreiben. Danny jedenfalls schenkte sie an diesem Abend nur einen ausgiebigen Blick auf ihren, unter den Pfeifen berühmten Rücken und den Teil ihres Klassehinterns, der nicht mehr in das Sitzpolster passte. Die Diamanten an ihrem Kleid wetteiferten mit der Klinge des Kochs im hinteren Teil des Salons dabei, Danny mit einem scharfen Widerschein endlich für immer zu blenden, was andere vielleicht als ein „tolles Glitzern“ beschrieben hätten. Nicht wahr, Floyd? Dem wären dafür aber sicher nicht Avas so herrliche Wimpern aufgefallen.

„Halt ihn gut fest, den Spatz in der Hand!“, tönte es plötzlich an Dannys linkem Ohr, begleitet von einer Idee Bourbon mit Orange. Es war ein Gentleman, den Danny nur als Frank kannte, ein Freund von William F. Lamb, alter Schwede, der Kerl, der das Empire State Building plant. Danny konnte wirklich keine Kontakte knüpfen, auch dann nicht, wenn man sie ihm vor die Füße warf. „Ja, halt ihn gut fest.“ Und dann packte Frank auch noch auf Dannys Bein, aber nur, um beim Hinsetzen das Gleichgewicht zu halten. Danny sah nicht ein zu fragen, was das sollte, das mit dem Spatz, und das war es dann auch schon mit der Konversation, dem Büro im ESB und mit allem drum und dran.

Thursday, 4 June 2015

KAREEM ABDUL POWELL

So viele Leute hat Powell ja noch nie auf einem Haufen gesehen. Also wenn jemand noch Zweifel gehabt haben sollte, kann er die sich jetzt getrost in den Arsch schieben. Black Moslems! Powells Augen leuchten heller als die Haut von der weißen Fotografenschlampe vor ihm.

Selbst George Lincoln Rockwell ist gekommen, Powell kann’s nicht fassen, so viel größer und hübscher als Hitler. Sitzt da wie ein verzinkter Nagel in seinem Stuhl und hat die Arme verschränkt, als hätte er von seiner Mama gehört, alle Nigger wären schwul und fingen mit dem Touchen gleich an den Nippeln an. Na gute Nacht, der ganze Laden ist voll von Schwarzen. 

Aber statt der Brüder rückt Rockwell nur die Schlampe auf die Pelle. Powell kann sie nicht leiden, hat sie vorher schon mal bei Malcolm gesehen. Dessen Mikro dröhnt heute so laut, dass Powell fast nichts anderes hören kann. Aber das hier schon  er sitzt direkt hinter der Frau, zu der sich der Nazi gerade runter beugt: „Aus dir werde ich Seife machen!“ Und sie: „So lange es kein Lampenschirm ist.“ Aber ihr hört Powell nicht mehr zu. Er ist zu sehr damit beschäftigt, mit seiner Kippe von hinten ein Loch in ihren Pulli zu brennen.

In Erinnerung an Eve Arnold (Magnum).

Wednesday, 27 May 2015

VICTORIA "VICKI" HOLMES

In Vickis Augen lag eine Ahnung von „ich habe ganz sicher nicht um seinen Besuch gebettelt“, jedes Mal, wenn sie irgendeinem Bekannten über den Weg gelaufen war, und das passierte ständig an diesem schwülen Tag, an dem sie den Fremdenführer spielen musste. Das war doch sonst nie so. Wann war Vicki Holmes vorher denn jemals vor St. Pauls einem ihrer Freunde begegnet?

Schon schlimm genug, dass er immer weiter machte mit seiner guten Laune und dem wachtelmäßigen Sightseeing. Sie musste ihm den Piccadilly Circus zeigen, über die Tower Bridge rüber, mir nichts dir nichts essen gehen, zurück nach Soho – und sie hatte es sich schon gedacht – wo er sich schämte. All dieser Mist. In Camden Town glotzte ihr irgendso ein Typ auf den Arsch und stand in Chelsea schon wieder hinter ihr, als ihr Freund, oder wie soll sie ihn eigentlich nennen, gerade dabei war, sich ein Softeis in die Waffel drücken zu lassen.

Während er von der einen Seite leckte, machte sich auf der anderen schon der erste Tropfen auf den Weg, um vielleicht doch noch rechtzeitig die Kurve zu kratzen, nichts wie weg von hier, von seiner Zunge, die sonst auch nicht so viel konnte, oder von allem hier, vom Brompton Friedhof, wo Vicki die ganze Zeit auf der Bank schon gar nichts mehr gesagt hatte. Und als "ihr Freund" oder wie auch immer beim Auf- und Abhocken aus Versehen mit seinem Bein das ihre berührte, hätte sie lieber hinten in den Dornen gesessen.

Wednesday, 20 May 2015

N.N.

Lange Zeit hatte ich zu wissen geglaubt, wer meine erste Freundin war. Ich lag aber falsch. Meine erste Freundin wohnte im selben Wohnblock wie ich in Saarlouis in der Metzer Straße, nur in einem anderen Flügel. Wir konnten uns sehen, wenn wir an unseren Fenstern zum Innenhof standen.

Mit ihr verbinde ich meine vielleicht sogar früheste Erinnerung. Es muss 1979 gewesen sein. Wir spielten in einem der Räume, die sie zusammen mit ihrer Mama bewohnte, „eine bildhübsche Frau“, sagte meine Mutter heute im Auto, während sie mich zum Zahnarzt fuhr. Und das kleine Mädchen habe schulterlange dunkle Haare gehabt, genau wie in meiner Erinnerung. Und ich weiß noch: Ich mochte sie sehr.

Wie kann es sein, dass nach all den Jahren mir plötzlich diese Erinnerung hochkommt? Ich weiß es nicht, genauso wenig wie heute ihren Namen. „Irgendetwas mit F“, sagte meine Mutter, als sie in die Torstraße einbog, „so wie Fatima oder Felicitas“. Ihre Mama war damals, in jungen Jahren schon, an Multiple Sklerose erkrankt.

Monday, 18 May 2015

HINANO MATSUMOTO

Das Telefon klingelte, und Hinano Matsumoto sah schon an der Nummer im Display, dass es ihr Makler war. Wenn sie und ihr Mann sich in der Zwischenzeit nichts anderes vorgenommen haben, könnten sie sich doch noch zur Besichtigung treffen. Ein anderer Termin sei geplatzt, sagte der Makler, ein Termin, der vorher so wichtig gewesen war, dass er hatte den ihren „leider“ absagen müssen.

Hinano und ihr Mann hatten tatsächlich noch nichts vor und schlüpften schnell in ihre Schuhe, um zu dem alten Haus zu fahren. Es hatte zwar wenig Besonderes, aber es lag zu gut, als dass es Hinano den Stolz wert gewesen wäre, im Gegenzug nun den Makler zu versetzen, egal was er mit ihnen trieb.

Das bedeute aber nicht, dass sie guter Laune waren, als sie beide in Kyoto ankamen. Das Auto des Maklers stand schon vor der Tür, die nur angelehnt zum Eintreten einlud. Als Hinano gleich einer Katze abschätzend hindurch schlüpfte und durch den Flur zu einem zufällig ausgewählten Zimmer schlich, stand der Makler hinter dessen Tür und versuchte, noch rechtzeitig eine letzte Spur zu verwischen.

Sunday, 10 May 2015

MAHA FANI

Im Zimmer fand ihn Maha Fani nicht, in der Küche war er nicht, im Schlafzimmer nicht und auch nicht im Flur. Sie war gerade aus den Dornen gekommen. „Mahmoud?“ Maha lauschte, aber sie hörte nur die Hühner gackern und eine Ziege, die beim Nachbarn war. „Mahmoud?“

Maha hob den Saum ihres Umhangs von den Fliesen und huschte in den Hof, so dass die Hühner auseinander preschten und um sie herum in die Ecken flohen. Ihren Mann fand sie auch hier nicht. Aber dann hörte sie im Haus sein Husten. Sie kehrte um und folgte den Schalen der Kerne, die Mahmoud jetzt auf dem Teppich genoss.

Als er Maha mit der Waffe durch die Tür kommen sah, hörte er mit dem Kauen auf, und sie konnte den Brei zwischen seinen Lippen sehen. Er klang eilig, als er endlich das Wort ergriff: „Du hältst sie falsch, Frau!“. Da fing Maha an zu lachen, so laut, wie noch nie vor ihrem Mann.

Saturday, 9 May 2015

LUIS MOSQUERO

Am selben Abend, nachdem Luis Mosquero in den Rio Caquetá gesprungen war, um das Boot zum anderen Ufer zu drücken, wurde er zum ersten Mal des Schmerzes gewahr, der seinen rechten Fuß durchzog. Seine Frau bemerkte, wie sich sein Gesicht verkrampfte. Aber sie sagte nichts, sondern senkte ihre Augen und aß weiter von ihrem Reis mit Huhn.

Zwar flaute der Schmerz kurze Zeit später wieder ab, doch in der Nacht kam er mit aller Macht zurück. Es fühlte sich an, als würde das Fleisch verbrennen und unter der Sohle fremdes Leben entstehen. Doch Luis glaubte noch immer daran, dass der Schmerz sich schon wieder geben werde, und wartete mit seinem Besuch beim Arzt, bis die Qual ihn weinen ließ.

Als man ihn zur Praxis brachte, konnte Luis kaum noch gehen. Die Assistentin hakte sich bei ihm ein, um ihn bis zum Stuhl zu stützen, da kam der Arzt schon herein und mit ihm ein seltsames Gefühl, das sich Luis bemannte. Der Arzt trug blondes Haar und bemühte sich, ein Grinsen aus seinem Gesicht zu löschen. Und Luis sah, wie die Assistentin den kranken Fuß in ihre kühlen Hände nahm, und hoffte, ihren Blick zu finden.