Saturday 25 February 2017

RAFI BELLAHARANI

Rafi Bellaharani lebte mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern von 17 und 20 Jahren in Farahzad, einem der ältesten Viertel in Westteheran, worauf er sich aber nicht viel einbildete. Es war ein Samstag, als er von einem kleinen Einkauf schon fast seine Wohnung erreicht hatte, als ihn von hinten jemand mit einem Stock in die Kniekehle schlug und davonlief. Bellaharani stürzte zu Boden, stand wieder auf, klopfte sich den Dreck aus seinem Anzug, sammelte die Packungen mit dem Fleisch, dem Mehl und den Berberitzen zusammen, die sich aus seiner Tüte über die Straße verteilt hatten, und ließ einen Passanten erzählen, wie sich der Vorfall aus dessen Sicht zugetragen hatte.

Der Alte faselte irgendwas Verworrenes. Bellaharani hörte bald schon nicht mehr hin, sondern musste stattdessen immer zu daran denken, dass Sara, seine Frau, gerade am Kochen war. Sie hatte ihm am Morgen Vaavishkaa versprochen, was ihn gleich stutzig gemacht hatte. So simpel sich das Gericht zubereiten lässt, war ihm doch nicht entgangen, dass es das leckere Vaavishkaa meistens dann gab, wenn er noch etwas anderes zu verdauen hatte, etwas, dass sie, seine Frau und seine Töchter, ihm gleich mitservierten.

Als Bellaharani nach Hause kam und in den Flur eintrat, duftete es schon herrlich nach dem gebratenen Hackfleisch und den feinen Gewürzen. Am Tisch im Wohnzimmer wartete bereits Zohreh, die jüngere der beiden, und sah ihn mit ihren großen schwarzen Augen in einem ausdruckslosen Gesicht an. Bellaharani blieb in der Tür stehen und suchte den Raum nach der älteren ab. „Wo ist Tahereh?“, fragte er, da hörte er schon seine Frau von hinten kommen. „Setz Dich an den Tisch“, sagte sie mit dem Gewicht der vollbeladenen Pfanne in der Stimme, „und dann iss. Sie sitzt in der Küche und liest. Ich rufe sie gleich.“

Sunday 8 January 2017

BRUNO BELLEC

Erst einen Tag, nachdem Bruno Bellec einkaufen gefahren war, fiel ihm auf, dass die neuen Hefte fehlten. Er konnte sich nicht erinnern, dass er sie wie die anderen Sachen zuhause ausgepackt hatte. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Draußen hatte es zu nieseln begonnen, und auf sein Auto und auf die Straße legte sich ein Film von milchig weißem Eis.

Bruno wollte gerade in den Keller, um den Eimer mit dem Streusalz zu holen, als das Telefon klingelte. Es war Carine. „Mein Problem ist“, sagte sie nach halbherzigem Smalltalk, „dass ich noch Sommerreifen drauf habe und zur CdS muss, und Du weißt, wie die sind, wenn man sie versetzt.“ CdS ist die Firma, in der Carine arbeitet. „Die werden sicher verstehen, wenn Du nicht kommst. Die Straßen sind total vereist. Vielleicht fällt das Essen sogar aus. Kannst Du nicht jemanden anrufen?“, fragte Bruno. „Könntest Du mich vielleicht fahren?“, bekam er als Antwort. Aber dann versprach sie, sich erst einmal mit Monsieur Kremers, ihrem Abteilungsleiter, in Verbindung zu setzen und sich dann wieder bei ihm zu melden.

Mittlerweile hatte es zu dämmern begonnen. Bruno ging schnell nach draußen und streute den Gehweg vor seinem Haus, obwohl dort selten jemand langgeht, sein Haus ist das letzte vor dem Ortsausgang. Dann ging er wieder hinein und sah auf seinem Telefon nach, aber Carine hatte nicht wieder angerufen. Wenn er es bei ihr versuchte, klingelte es durch. Erst nach zwei Stunden meldete sie sich wieder und wollte wissen, wieso er denn angerufen habe. Im Hintergrund hörte Bruno, dass sie es wohl ohne ihn auf die Veranstaltung ihrer Firma geschafft hatte. Er hörte Stimmen und sie mit ihren Stiefeln über einen Holzboden klappern. Dann schlug eine Tür zu, und die Stimmen waren verstummt. Jetzt rauschte es leise. „Wie bist Du denn hingekommen, bist Du jetzt doch selbst gefahren?“, fragte Bruno. „Monsieur Kremers hat mich abgeholt“, antwortete Carine unterkühlt und begann mit Bruno zu schweigen, bis ihm der Druck zu groß wurde. „Dann pass bitte auf, dass Du wieder heil zurück kommst. Es regnet Eis!“ „Wir hören uns“, dann legte sie auf.